Fingerspitzenhammerbogen


Mit einem ganz besonderen Hackbrett verzaubert der Welt einziger Bowhammer-Cymbalom-Spieler Hamburgs PassantInnen

Von Kay Dohnke

Eigentlich muß nach San Francisco fahren, wer diese Musik hören will - und vor allem sehen: acht Finger mit skurrilen Aufsätzen tanzen über einhundertzwanzig Saiten, schlagen und streichen im Wechsel, während die Daumen zupfen. Doch für eine Woche tritt er jetzt in Hamburg auf, der kalifornische Musiker Michael Masley, weltweit der einzige Bowhammer Cymbalom-Spieler. Und er sucht sein Publikum ausschließlich in den Straßen.

Oder das Publikum findet ihn: mal sind es die surrealen Klänge seines Instrumentes aus der Familie der Hackbretter, die die Aufmerksamkeit der Passanten fangen. Andere sehen seine eigenwilligen Spieltechnik, bleiben stehen und staunen. Der visuelle Überraschungseffekt ist ihm stets sicher. Während andere das Cymbalom traditionell mit zwei Schlegeln traktieren, stellte Masley bald fest, daß schon die Kraft der Finger zum Spielen ausreicht. Doch wozu hat man zehn Finger? Um die Spielmöglichkeiten zu vervielfachen! Er steckte sich selbstgebastelte Hämmer an die Finger, aber es dauerte Monate, ehe er damit klarkam. Kaum beherrschte er diese neue Technik, da baute er kleine Geigenbögen an die Hämmer und steckte sich Picks auf die Daumen. Und nun klingt es wie ein ganzes Streichorchester auf Trip, drei Synthesizer in Reihe geschaltet - oder eben wie das einzige Bowhammer Cymbalom der Welt.

Aber - wie zum Teufel klingt sowas denn? Nach New Age? Wie eine neue Art World Music? Masley mag keine Kategorien: "Meine Musik ist am ehesten Earth Folk - eine zeitgenössische afro-keltische Variante von Free World- und Country-Eastern-Music." Noch Fragen? Der Musikpionier grinst... Man muß ihn schon hören, um sich eine Vorstellung davon zu machen. Und eben dazu auch sehen: das Spiel der verlängerten Finger auf den Saiten, die Melodien und Tonlagen variieren, Assoziationen wecken. SchlagenStreichenZupfen. Masley spielt nur Improvisationen, ausschließlich. Und wie wollte man diese frei fließende Musik auch in Kompositionen, einen festen Rahmen, gar in Noten zwängen?

In San Francisco oder seiner Heimatstadt Berkeley auf der anderen Seite der Bay ist Michael Masley inzwischen ziemlich bekannt, hat seit 1982 wohl vor hunderttausenden von Menschen gespielt. Und als Ry Cooder eine seiner Cassetten in die Finger bekam, mußte er Masley unbedingt für den Soundtrack zum Film Geronimo engagieren. Doch hinterher kehrte Masley auf die Straße zurück, "dort finde ich meine Zuhörer, und nirgends sonst." Nur einmal gab es im liberalen Berkeley Ärger mit zwei Steuerbeamten, was ihm eine Nacht Gefängnis einbrachte. Spontaner Protest seiner Freunde: "Das ist, als wenn man Beethoven einsperren würde!"

Inzwischen gibt es die Musik des West Coast-Beethoven auf der CD Mystery Repeats Itself, und in diesem Sommer war Masley Gaststar beim internationalen Folkfestival in Rudolstadt. Eigentlich gefällt es ihm in Europa gut, nur in München fragte ihn die Polizei beim Spielen öfter nach einer Genehmigung. "Ein Permit für kreative Spontanität...?" Masley schüttelt ungläubig den Kopf. Er ist gespannt, wie im weltoffenen Hamburg das Publikum auf seine Musik reagieren wird - und die Polizei. Bis Ende Juli wird es in der Innenstadt außer Inkaflöten, Saxophonen oder Gitarren jedenfalls etwas ganz ungewöhnliches zu hören geben.

Veröffentlicht in: Die Tageszeitung (Ausgabe Hamburg) 25. Juli 1996